Mit spritzigen  30 km/h über die  Glarner Strassen

Marc Schlumpf und Peter Hefti restaurieren in Ennenda alte Töffli. Mit ihrer Gang, den «Fridlibuäbä», bezwingen sie steile Pass-Strassen und beleben ihre Jugend wieder.

Gerade mal 30 km/h und 1 PS bringt ein unfrisiertes Töffli auf die Strasse – zu wenig für quietschende Reifen und schwarze Spuren auf dem Asphalt. Aber mit zusätzlicher Beinarbeit haben Peter Hefti und Marc Schlumpf schon Pässe wie den Klausen, den Pragel oder den Gotthard bezwungen.

Die beiden Glarner haben Benzin im Blut – und 2 Prozent Zweitaktmotorenöl. Mit 55 und 44 Jahren sind sie leidenschaftliche «Töffli-Buäbä» und betreiben seit 2020 zusammen eine Werkstatt in einer renovierten Scheune am Ufer der Linth in Ennenda. Dort werkeln und schrauben sie nach Feierabend stundenlang an 50 bis 60 Jahre alten Rostlauben und fertigen daraus strassentaugliche Schmuckstücke.

Als «Fridlibuäbä», die wahrscheinlich einzige Töffli-Gang im Kanton, nehmen sie bewusst Tempo raus und entfliehen der Hektik des Alltags. Die wilden Verfolgungsjagden mit Dorfpolizisten aus ihrer Jugend haben sie hinter sich gelassen, am Töfflifahren reizt sie die Langsamkeit.

Langsam, aber nicht langweilig

Langweiler sind die beiden Gründungsmitglieder der «Fridlibuäbä» aber nicht; wenn sie ihre Oldtimer ausfahren, tun sie das mit dunkeln Sonnenbrillen und Clubjacken. Sie flirten mit dem Rocker-Image. Auf der Rückseite ihrer Jacken grinst gross ein Totenkopf mit gekreuzten Motorkolben. Die Clubfarben der «Fridlibuäbä» sind wie ihr Name typisch Glarus: rot, weiss und schwarz. In ihrem Clublokal neben der Werkstatt trällern die Scorpions «Wind of Change», und Kurt Cobain findet «Smells like Teen Spirit».

«Ferraris und ‚Lambos‘ überholen uns auf der Tremola, aber die Leute am Strassenrand beklatschen uns – und nicht die Boliden. Das ist schon ein geiles Gefühl», sagt Marc Schlumpf. Der jüngere der beiden «Fridlibuäbä» spricht vorzugsweise im Fachjargon der Töffli-Freaks: «Lambos» sind Lamborghini, «Tremola» heisst die geschlängelte Passstrasse auf den Gotthard, und Töffli sind in Glarus keine «Hödis», sondern «Pfupferli», wie die «Fridlibuäbä» Unkundigen rasch klarmachen.

Kompensieren und verzichten

Den Spruch «Ohni mis ‚Hödi‘ chani nöd läbä» aus einer alten Töffli-Doku findet Peter Hefti trotzdem passend. Wie Marc Schlumpf liebt er seine Töffli vor allem, weil er durch sie viel von der Schweizer Berglandschaft sieht. «Auf dem Töffli erlebst du die Natur um dich herum mit allen Sinnen und viel intensiver», sagt er.

Das mag paradox klingen: Töffli sind nicht nur langsam, ihr Benzin-Öl-Gemisch stinkt, und sie sind verhältnismässig laut. Als «amtlich bewilligte Dreckschleudern» hat sie das Konsumentenmagazin «Saldo» betitelt.

Das weiss auch Peter Hefti, der die kritischen Stimmen nur schlecht ignorieren kann: Sein Sohn Frederick Hefti ist Landratskandidat der jungen Grünen. «Anders als in meiner Jugend fährt das schlechte Gewissen heute immer mit», sagt der Vater. Deshalb kompensiere er das CO2. «Unser Haus betreiben wir mit Solarstrom, und unser Familienauto fährt mit Biogas.» Ausserdem ernähre sich die ganze Familie vegetarisch.

Elektrotöffli kommen für die beiden «Fridlibuäbä» aber nicht infrage. «Äs bitzli stingge muesses», sagt Marc Schlumpf und schmunzelt. Der Auspuffrauch gehöre zum Zweitaktmotor wie der Fuchsschwanz zum Lenker. Und auf den verzichte er bereits – seine Frau sei engagierte Tierschützerin.

Töffli boomten in den 1980ern

Die Töffli-Leidenschaft der «Fridlibuäbä» ist nur zu verstehen, wenn man die Zeit zurückdreht: 1980 knatterten weit über eine halbe Million Töffli über die Schweizer Strassen, jeder zehnte Schweizer besass eines. In der Schweiz grassierte das Töffli-Fieber.

Betroffen waren vor allem männliche Jugendliche vom Land. Wegen ihnen liess der Bund die Zweitakter seit 1961 prüfungsfrei auf die Strasse, um den Jungen den Zugang zu Gymnasien und Berufsschulen zu erleichtern. In der Folge entwickelten sich vor allem ländliche Bergregionen zu Töffli-Hochburgen, schreibt der Historiker Benedikt Meyer.

Der junge Hefti war auf dem Höhepunkt des Töffli-Booms 1980 14 Jahre alt, lebte wie heute in Ennenda. Geld für ein neues Töffli und dessen Unterhalt hatte er nicht, also erschien er hie und da bei Töfflimech Benni Ruoss und schleppte ihm Holz in den Estrich. Ruoss habe ihn gelehrt, fachgerecht am Töffli zu schrauben, sagt Peter Hefti. «Er hat mir schliesslich für 400 Franken mein erstes Töffli verkauft» – und mit ihm die Freiheit.

«Endlich habe ich selbst entscheiden können, was ich tun und wohin ich gehen wollte», erinnert sich Hefti. Auch wenn er und seine Freunde meistens nur ins nächste Dorf gefahren seien, um Mädchen «abzuchecken», sei ihm die Welt gefühlt zu Füssen gelegen.

Die Töffli bezwingen wieder Pässe

Auch Marc Schlumpf sparte sich seinen Lehrlingslohn und schraubte schon früh selbst an seinen Töffli. Für die Ersatzteile seiner Italiener fuhr er in den 1990ern auch mal mit dem Zug von seiner Heimatstadt Bern ins grenznahe Domodossola.

Den Berner Dialekt hört man bei Schlumpf kaum mehr, er sei 2000 nach Glarus gekommen. Zu jener Zeit verschwanden die stinkenden Zweitakter zusehends aus dem Schweizer Strassenbild; 2010 zählte die Schweiz laut Bundesamt für Statistik noch knapp 140 000 Töffli.

Dann eroberten sie sich einen kleinen Teil der Schweizer Strassen zurück. An die 220 000 Töffli sind es heute, Tendenz steigend. Mitverantwortlich für diese Entwicklung dürfte die Marketing-Abteilung von Red Bull und das «Alpenbrevet» sein: Hunderte von Töffli-Fahrern und -Fahrerinnen treffen sich einmal pro Jahr und überqueren gemeinsam ausgewählte Pässe. 600 Teilnehmende gingen 2010 an den Start. 2019, an der letzten regulären Ausgabe vor der Pandemie, waren es 1600. Längst mischen sich auch Jugendliche unter die Töffli-Gangs der gealterten «Töffli-Buäbä und -Meitli», die sich auf ihren Vehikeln das Freiheitsgefühl ihrer Jugend zurückholen.

Revival treibt die Preise in die Höhe

Die «Fridlibuäbä» sind am letzten Alpenbrevet über Klausen und Pragel gefahren – Hefti ist gefahren und Schlumpf hat sich nach einer Panne mit einem Seil zurück nach Glarus ziehen lassen.

Peter Hefti und Marc Schlumpf lachen über ihre Abenteuer; sie gehören zum Töffli-Feeling. Ein gespaltenes Verhältnis haben sie dagegen zum Töffli-Revival. Dank ihm hätten sie ihre Jugendliebe wiederentdeckt, sagen die zwei. Als ihre Kinder ein Töffli wollten, griffen sie wieder zum Schraubenschlüssel und begannen Online-Marktplätze, dunkle Keller und verstaubte Dachböden nach alten Töffli zu durchsuchen.

In der Regel treffen sie auf wahre Schnäppchen, von schrottreif bis gut erhalten. Problematischer sei es mit den originalen Ersatzteilen, sagt Marc Schlumpf. «Die Preise haben sich in den letzten Jahren verdoppelt. Ich wäre eigentlich froh, wenn der Töffli-Kult nachliesse.» Das sieht auch Peter Hefti so: «Die Spezialhändler wissen genau, was sie verkaufen.»

An einem Töffli arbeiten sie 100 bis 200 Stunden, manchmal auch nur eine Viertelstunde pro Tag. Die beiden gelernten Schlosser restaurieren nur, was notwendig ist, konservieren den angesetzten Rost, reparieren die Töffli, versetzen sie in den Originalzustand und machen sie fit für die Strasse. «Die Töffli zu verändern, wäre eine Schande», sagen sie einstimmig.

Auch «Fridlimeitli» willkommen

Peter Hefti zeigt auf ein dunkelgraues Töffli der Marke Hercules Prior aus den frühen 1960ern. Es schmückt die Holzwand des Clublokals. «Vor 20 Jahren hätte es ein paar hundert Franken gekostet», sagt er. «Heute kostet so eines im Internet knapp 3000.»

Zu ähnlichen Preisen verkaufen Händler auch neue Töffli. Für Jugendliche ist das eine stolze Summe; umso willkommener sind sie bei den «Fridlibuäbä». «Wir freuen uns, wenn wir den Jungen Ratschläge geben oder Teile beschaffen können.», sagt Peter Hefti.

Die Facebookgruppe der «Fridlibuäbä» zählt aktuell 28 Mitglieder. Ein Verein sind sie noch nicht, die Statuten seien in Arbeit. «Bei schönem Wetter schauen vereinzelte Mitglieder in der Werkstatt vorbei, schrauben an ihren Töffli oder fahren mit», sagen die zwei Gründerväter. Unter den Aktiven seien auch «Fridlimeitli». «Bei uns kann jeder und jede mitmachen, ob alt oder jung, solange er oder sie friedlich ist und ein Töffli besitzt.»

Erstes Töffli-Treffen im Mai

Am 21. Mai veranstaltet die Töffli-Gang das erste Töffli-Treffen in Ennenda. Auf dem Programm stehen Pizza, Grillwürste, Rockmusik und eine Ausfahrt ins «Freuler’s Race Cafe» in Linthal.

«Wenn nicht mindestens 50 Töffli-Freaks erscheinen, sind wir enttäuscht», sagen Peter Hefti und Marc Schlumpf. «Und wenn wir 200 schaffen, verteilen wir uns eben auf verschiedene Cafés in der Umgebung.» Spätestens dann hätte das Töffli-Revival den Kanton Glarus endgültig gepackt.

Publikation: Südostschweiz, Glarner Nachrichten, 10.3.22

Beitrag teilen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert